Booklet-Text

(deutschenglisch)

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zur CD:

 

PLAYER PIANO 8

Original Compositions in the Tradition of Nancarrw

 

Musikproduktion Dabringhaus und Grimm

MDG  CD 645 1408-2

(TT. 59’ 19”)

 

MICHAEL DENHOFF

Gesamtwerk für Player Piano(s)

 

INTROVENTION  mit Bach (… Steve Reich ist auch dabei …)

ZWÖLF INVENTIONEN op. 88 (1999-2004)

CADENABBIAER GLOCKENBUCH op. 78a  (1996/2005)

 

 

 

 

Anmerkungen zu dieser CD.

Eigentlich ist das Player Piano ein Relikt aus Reservatenkammer der Musikgeschichte und wäre längst aus dem Bewusstsein der Musikliebhaber verschwunden, hätte das Werk Conlon Nancarrows es nicht – wie Phönix aus der Asche - zu einer unerwarteten Wiederauferstehung geführt. Seitdem ist das Player Piano wieder allgegenwärtig – aber meist nur in der Vorstellung der Menschen, denn in der Realität gibt es nur wenig Instrumente, deren Zustand es erlaubt, sie für eine Aufführung auf eine Bühne zu stellen oder für eine hochwertige CD-Aufnahme zu verwenden. Eines dieser Instrumente ist der Ampico-Bösendorfer Selbstspielflügel, den Jürgen Hocker vor über zwanzig Jahren in desolatem Zustand erworben und nach den Angaben Nancarrows restauriert hat. Seitdem wurden die Kompositionen Nancarrows in über hundert Konzerten in ganz Europa vorgestellt. Hocker motivierte auch jüngere Komponisten und bot ihnen die Möglichkeiten, für das Player Piano zu komponieren. Er stellte sein know how und seine Instrumente dafür zur Verfügung, und in manchen Fällen gelang es auch, Kompositionsaufträge einzuwerben. Die Bedeutung, die man dem Player Piano wieder beimisst, mag man auch daraus entnehmen, dass die neuen Werke an prominenter Stelle uraufgeführt wurden, so z.B. bei den Donaueschinger Musiktagen 1994 und 1997, bei der MusikTriennale Köln 2000 und beim Klavier-Festival Ruhr (1999, 2006, 2007). Erstmals wird nun in der Player-Piano-Reihe von D&G ein Überblick über die neuen Player Piano-Kompositionen auf Tonträgern vorgelegt.

Werner Dabringhaus

 

Klaviermusik ohne Grenzen –

unspielbare Originalkompositionen für Player Piano in der Nancarrow-Nachfolge

 

Ich glaube, dass die Zukunft des Selbstspielklaviers auch in solchen Leistungen liegt, welche den musikalischen zehn Fingern praktisch unerreichbar bleiben, und es steht eine dem Instrument und allen seinen Möglichkeiten angepasste neue Literatur zu erhoffen und vielleicht zu erwarten...

Ferruccio Busoni (1908)

 

Die Geschichte der Originalkompositionen für Player Piano umfasst erst 90 Jahre. Das Selbstspielklavier bietet über die Reproduktion "handgespielter" Klaviermusik hinaus für einen Komponisten vielfältige Möglichkeiten. Bei der Realisierung seiner kompositorischen Ideen ist er nicht mehr begrenzt durch manuelle Spielbarkeit. Strawinsky, Hindemith, Toch, Haass, Antheil, Casella und Malipiero, entdeckten zwischen 1915 und 1927 diese neuen Möglichkeiten und schufen die ersten Originalkompositionen (Vol. 4 dieser Player Piano-Reihe), die aber nur seitliche Arabesken im Gesamtwerk dieser Komponisten darstellen. Erst der Autodidakt Conlon Nancarrow erkannte den ganzen Kosmos der musikalischen Möglichkeiten, und er schuf mit seinen 50 Studies for Player Piano ein grandioses Werk für dieses nahezu vergessene Instrument. Viele zeitgenössische Komponisten waren von den „Studies“ so fasziniert, dass bei Ihnen der Wusch reifte, ebenfalls für das Player Piano zu komponieren.

 

Technische und musikalische Möglichkeiten für Komponisten

Das pneumatische Selbstspielklavier verfügt über beträchtliche technische Möglichkeiten, die kein - auch noch so perfekter - Pianist durch sein Spiel realisieren kann:

Nutzung der Klaviatur

Ein Pianist kann mit einer Hand kaum mehr als zehn Töne gleichzeitig anschlagen; diese müssen sich zudem noch innerhalb einer Dezime (= Spannweite der Hand) befinden. Beim Selbstspielklavier können zur gleichen Zeit beliebig viele Töne in beliebigen Bereichen der Klaviatur angeschlagen werden. Alle grifftechnischen Beschränkungen, denen ein Pianist unterworfen ist, entfallen beim Selbstspielklavier. Tonsprünge können ohne Rücksicht auf pianistische Treffsicherheit perfekt reproduziert und vollgriffige Akkorde, die sich über sieben Oktaven erstrecken, gleichzeitig angeschlagen werden. Komplizierte Akkordglissandi oder vielstimmige Triller bereiten ebenso wenig Schwierigkeiten wie vielstimmige chromatische Glissandi. Diese vielfältigen Möglichkeiten werden nur durch die Leistung des Gebläses limitiert: so übersteigt z.B. der gleichzeitige Anschlag aller 88 Klaviertöne die Kapazität der Vakuumpumpe.

Geschwindigkeit

Ein geübter Pianist kann etwa 15 Töne pro Sekunde hintereinander spielen. Ein Player Piano hingegen bietet die Möglichkeit, 50, 100 oder gar 200 Anschläge pro Sekunde hintereinander anzuschlagen, d.h. Tonfolgen lassen sich mit "unspielbaren" Geschwindigkeiten realisieren. Man erhält neue Klangeindrücke, da das Auflösungsvermögen des Ohres überschritten wird, das bei diesen Geschwindigkeiten die Töne nicht mehr als Einzelereignisse wahrnehmen kann. 100 Anschläge pro Sekunde im Pianissimo werden als "Klangwölkchen" wahrgenommen, 100 Anschläge im Fortissimo erzeugen einen "Klangorkan". Auch kontinuierliche Geschwindigkeitsänderungen und unterschiedliche Geschwindigkeiten in mehreren Stimmen lassen sich problemlos ausführen.

Metren und Rhythmen

Ein Pianist kann gleichzeitig zwei verschiedene Metren spielen, wenn sie in einfachen Zahlenverhältnissen wie 2:3 oder 3:5 stehen. Bei komplizierten Zahlenverhältnissen stößt er genauso schnell an seine Grenzen wie bei der gleichzeitigen Wiedergabe von 3 oder mehr verschiedenen Metren. Ähnliches gilt für komplexe Rhythmen. Das Player Piano hingegen spielt die kompliziertesten Metren und Rhythmen mit absoluter Präzision. Vergleichbare Ergebnisse lassen sich inzwischen auch mit einem Computer realisieren, wobei man allerdings meist auf den originalen Klavierklang verzichten muss.

Dynamik

Auch bezüglich der Dynamik hat der Komponist nahezu freie Hand: das Ampico-System verfügt über eine stufenlose Dynamik von pp bis ff. Dennoch ist die Dynamik ein Schwachpunkt und das Festlegen exakter Lautstärken problematisch: die Lautstärke hängt von der Höhe des Vakuums ab, das man durch entsprechende Lochungen auf der Notenrolle steuern kann. Das Vakuum wird jedoch von der Anzahl der angeschlagenen Töne pro Zeiteinheit beeinflusst, da bei einer Vielzahl gespielter Töne das Vakuum und damit die Lautstärke abnimmt. Eine weitere Limitierung stellt die Windlade dar, die in eine Bass- und Diskanthälfte geteilt ist, die getrennt gesteuert werden können. Werden zwei oder mehrere Töne einer Klaviaturhälfte gleichzeitig betätigt, so werden die entsprechenden Tonbälge durch exakt das gleiche Vakuum leer gesaugt: alle gleichzeitig angeschlagenen Töne einer Klaviaturhälfte erklingen mit der gleichen Lautstärke. Die zweite Hälfte der Klaviatur kann jedoch mit einer anderen Dynamik gesteuert werden. Sicherlich ist ein guter Interpret mit seinen dynamischen Variationsmöglichkeiten dem Selbstspielklavier überlegen. Ein Vorteil des letzteren besteht jedoch in der Reproduzierbarkeit einer einmal festgelegten Dynamik.

 

Neue Kompositionen in der Nancarrow-Nachfolge

Zusammenarbeit mit den Komponisten

 

Nancarrow avancierte nach seiner ‘Entdeckung’ in den frühen achtziger Jahren zu einer Art Kultfigur in der zeitgenössischen Musikszene, und seine Kompositionen für Player Piano waren - und sie sind es noch heute - mit der Aura des Geheimnisvollen umgeben. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass man zur authentischen Wiedergabe ein geeignetes Instrument, d.h. ein Klavier oder einen Flügel mit einer Ampico-Selbstspieleinrichtung (Ampico = American Piano Company), benötigt. Diese Instrumente, deren Produktion Anfang der dreißiger Jahre eingestellt wurde, befinden sich heute in Museen oder in Sammlerhänden.

 

Bereits 1964 – vor seiner Bekanntschaft mit Nancarrow - komponierte James Tenney das Stück Music for Player Piano. Um die Komposition einmal hören zu können, ging er in die Verkaufsabteilung einer Firma, die noch immer Player Pianos anbot, und ließ sich die Notenrolle abspielen. Nach seiner Bekanntschaft mit Nancarrow schrieb Tenney den Spectral Canon, der von Nancarrow gestanzt wurde. Die Toccata von Daniele Lombardi entstand auf Anregung von Antonia Latanza, Leiter des Musikinstrumenten-Museums in Rom, das über ein selbstspielendes Klavier verfügte.

 

Die einzigen Instrumente, die nach Nancarrows Wünschen modifiziert wurden und die für Konzertveranstaltungen zur Verfügung stehen, sind der Ampico-Bösendorfer- sowie der Ampico-Fischer-Flügel des Autors. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass viele Komponisten, die von Nancarrow und dem Player Piano fasziniert waren, früher oder später den Weg nach Bergisch Gladbach fanden, wo die Instrumente üblicherweise im Wohnzimmer stehen. So ergab sich in den letzten Jahren eine fruchtbare und faszinierende Zusammenarbeit mit vielen Komponisten.

Bis vor wenigen Jahren konnten Player Pianos ausschließlich über Lochstreifen gesteuert werden. Eine Komposition musste in mühevoller Arbeit auf einen Papierstreifen übertragen und Loch für Loch gestanzt werden - dies war meist meine Aufgabe. Dann musste die Dynamik kodiert werden. Die Anfertigung eines solchen Lochstreifens bedeutete oft monatelange Arbeit. Dank der Hilfe von Horst Mohr und Walter Tenten gelang es 1994, eine Computersteuerung zu entwickeln, die es ermöglichte, die Instrumente über MIDI zu steuern und zu synchronisieren, ohne den aufwendigen Weg über den Lochstreifen zu beschreiten.

 

 

 

 

Michael Denhoff

12 Inventionen für Player Piano(s) op. 88“ (1999-2004)

 

Die umfangreichste Originalkomposition für Player Piano nach Nancarrow stammt sicherlich aus der Feder des in Bonn lebenden Komponisten Michael Denhoff. Er schrieb zur Entstehung seiner 12 Inventionen für Player Piano: Wie vielen meiner Komponisten-Kollegen ist es auch mir ergangen: als ich erstmals die Studies für Player-Piano von Conlon Nancarrow hörte, war ich überwältigt von den schier unglaublichen Klängen und Strukturen dieser Musik. Schon damals hatte ich den Gedanken, die faszinierenden Möglichkeiten des selbstspielenden Klaviers einmal selber kompositorisch zu nutzen; abgehalten hat mich aber immer wieder das Gefühl, daß es fast unmöglich zu sein schien, für dieses Instrument nach Nancarrow noch Neues zu finden, da das Universum seiner Studies nahezu alle Möglichkeiten ausgelotet hat. Die ganz konkrete Bitte von Jürgen Hocker, für die Konzerte der Kölner Triennale ein neues Stück für sein Player-Piano zu schreiben, hat mich erneut darüber nachdenken lassen. Eine Möglichkeit sah ich darin, mich vornehmlich auf harmonische Aspekte der Musik zu konzentrieren, die bei Nancarrows Musik eine eher zweitrangige Rolle spielen, da er im Wesentlichen an den Möglichkeiten rhythmischer und kontrapunktischer Komplexitäten interessiert war. 

 

Die Zusammenarbeit mit Michael Denhoff war – nicht zuletzt wegen der räumlichen Nähe – recht einfach. Die ersten drei Inventionen, die im Rahmen der MusikTriennale Köln 2000 uraufgeführt wurden, entstanden noch in Handschriften von fast kalligraphischer Schönheit. Mir fiel nun die Aufgabe zu, die Noten als MIDI-Daten in den Computer einzugeben. Ab Invention No. 4 erhielt ich von Michael Denhoff die bereits fertigen MIDI-Dateien. Bei ungezählten Besuchen wurde nun das klangliche Ergebnis mit den Originalinstrumenten überprüft, auf den jeweiligen Flügel angepasst und die Dynamik-Codierung hinzugefügt. Besondere Aufmerksamkeit widmete Denhoff der akustischen Balance zwischen den beiden Ampico-Flügeln bei den Inventionen, für deren Wiedergabe zwei Player Pianos vorgesehen waren.

 

Zur Entstehung der 12 Inventionen für Player Piano schreibt Denhoff: Es entstanden zunächst drei Stücke, denen ich in bewusster Anlehnung an Johann Sebastian Bach den Titel ‚Inventionen‘ gab, weil sie kontrapunktische Techniken nutzen und erweitern, wie sie bei Bach zu finden sind. Im Zentrum meines Interesses stand aber (wie übrigens auch sonst in meiner Musik) das harmonische Denken. So hat jede Invention ihr eigenes unverwechselbares harmonisches Gesicht. In den letzten Jahren schrieb ich im Auftrag des Klavier-Festival Ruhr weitere neun ‚Inventionen‘, so dass der Gesamtzyklus nun insgesamt 12 Stücke umfasst, die von der ‚Einstimmigkeit‘ bis zur ‚Zwölfstimmigkeit‘ reichen (mit Stimmen sind hier kompositorische Schichten gemeint). Die ‚12 Inventionen‘ gliedern sich dabei in drei Blöcke: Nr. I–III (2-, 4-, 6-stimmig), Nr. IV–VIII (1-, 3-, 5-, 7-, 9-stimmig) und Nr. IX–XII (8-, 10-, [11 Klänge], 12-stimmig).

 

So hat jede Invention ihr eigenes unverwechselbares harmonisches Gesicht:

Nr. I nutzt eine bitonale Pentatonik, also eine in sich geteilte 10-Ton-Harmonik, bei der die beiden 5-Ton-Felder in ihren vier möglichen Grundgestalten zunächst nur die schwarzen Tasten (unten) und die weißen Tasten (oben) nutzen.

 

Nr. II basiert auf einer sich sequenzierenden, aufsteigenden Vier-Ton-Folge, von deren Intervallabständen (große Terz, große Sekunde, kleine Terz, kleine Sekunde) die rhythmischen Gestalten abgeleitet werden.

 

Nr. III beginnt zunächst als Spiegelkanon und ist "pan-tonal": alle zwölf Dur- und Moll-Dreiklänge erscheinen in den zwölf verschiedenen 6-Ton-Modi der einzelnen Stimmen.

 

Nr. IV bewegt sich in unterschiedlich dichten Mixturen, die durch engste kanonische Verschachtelungen der Tonfolgen mit sich selbst entstehen.

 

Nr. V hat drei kanonischen Schichten, die im Tempoverhältnis 12 : 15 : 20 zueinander stehen.

 

Nr. VI ist abgeleitet von einem fünfstimmigen Akkord, dessen Binnen-Intervalle sich verjüngen. Damit ist auch der harmonische Abstand der fünf Stimmen zueinander definiert.

 

Nr. VII ist als siebenstimmige Invention ein Versuch, das alte Modell der „Quintfallsequenz“ neu zu definieren: eine sieben- (bzw. 14-) tönige Intervallfolge sequenziert sich mit sich selbst im Quintabstand verzahnend zwölfmal, um an ihren Ausgangspunkt zurückzukehren.

 

Nr. VIII ist so angelegt, dass die neun vom Charakter sehr unterschiedlichen Stimmen nur einen bestimmten Tonvorrat nutzen, der sich mit keiner anderen Stimme überlappt. Dabei wird zusammengenommen die gesamte Klaviatur bespielt.

 

Nr. IX ist eine Mischform aus Passacaglia, Canon und Toccata. Trotz fast mathematischer Logik entsteht eine Musik, der jazzartiges Parlando innewohnt.

 

Nr. X ist zehnstimmig. Die Stimmen stehen – zwei jeweils paarweise über die Mitte gespiegelt – im metrischen Verhältnis von 5 : 7 : 9 : 11 : 13 zueinander.

 

Nr. XI ist entwickelt aus 11 fünfstimmigen Grundklängen, die auf einer elf-tönigen Basisreihe aus in den Lagen versetzten Quinten gebaut sind. Formal ist diese Invention eine Mischform aus Sonatensatz und Variation.

 

Nr. XII ist als abschließende Invention sowohl harmonisch als auch metrisch die schlichteste aller zwölf. Zwei sechsstimmig diatonische und choral-artige Schichten im Quintabstand als Kanon.

 

 

Cadenabbiaer Glockenbuch op. 78 a (1996/2005)

Version für zwei Ampico-Player-Pianos

 

Denhoff schreibt zu diesem Werk: Glockengeläut hat mich seit frühester Kindheit fasziniert. Ich konnte endlos den immer wieder neuen rhythmischen Mustern der Klänge lauschen, die sich durch das chaotische Überlappen verschiedener Geschwindigkeiten der einzelnen Glockentöne ergaben.

Als ich mich 1996 für einige Zeit in Cadenabbia am Comer See in eine Arbeitsklausur begab, war es das Glockengeläut zur Mittagsstunde, das meine Arbeit regelmäßig unterbrach. Ich war begeistert von den metrischen und räumlichen Interferenzen der Glockenklänge der Dorfkirche von Griante und der Kirche S. Giovanni am gegenüberliegenden Ufer – die eine mit den ersten fünf Tönen der H-Dur-Skala, die andere im Tritonusabstand in einer F-Dur-Skala. Es wuchs die Idee, endlich einmal eine Musik zu schreiben, die diese Phänomene behandelt. So entstand das ‚Cadenabbiaer Glockenbuch‘ in Form von neun und vier Etüden für ein und zwei Klaviere. Da mir diese Komposition besonders reizvoll für eine Wiedergabe durch Player Pianos erschien, habe ich eine spezielle Fassung des ‚Cadenabbiaer Glockenbuches‘ für zwei Ampico Player Pianos erstellt und gemeinsam mit Jürgen Hocker für seine beiden Instrumente eingerichtet. Das Werk wurde anlässlich des Klavier-Festival Ruhr am 5. Juni 2006 in der Zeche Nordstern in Gelsenkirchen uraufgeführt.

 

 

Michael Denhoff (*1955)

Michael Denhoff wurde in Ahaus/Westfalen geboren. Erste Kompositionsversuche unternahm er mit zehn Jahren und erhielt dabei entscheidende Impulse durch Günter Bialas. Ab 1973 studierte er bei Siegfried Palm und Erling Blöndal-Bengtsson Violoncello, bei Jürg Baur und Hans Werner Henze Komposition, sowie mit dem Denhoff-Klaviertrio beim Amadeus-Quartett Kammermusik. Von 1976 bis 1980 war er Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes. 1984-85 hatte er einen Lehrauftrag für Tonsatz an der Universität Mainz. Heute lebt er als freischaffender Komponist und Cellist in Bonn. Dort war er von 1985-1992 Leiter des Akademischen Orchesters und ist er seit 1992 Mitglied im Ludwig-Quartett. Daneben übte er diverse Lehr- und Dozententätigkeiten als Kammermusiker und Komponist aus. 1997/99 erhielt er eine Gastprofessur am Nationalen Konservatorium in Hanoi (Vietnam).

Für sein kompositorisches Schaffen erhielt er zahlreiche Preise und Auszeichnungen. 1986-87 ermöglichte ihm das Villa-Massimo-Stipendium einen einjährigen Studienaufenthalt in Rom. 1996 folgte ein Arbeitsstipendium „Villa La Collina“ in Cadenabbia. Das Cadenabbiaer Glockenbuch ist ein Ergebnis dieses Studienaufenthalts. Zahlreiche CDs dokumentieren Denhoffs umfangreiches Oeuvre. Ausführliche Informationen unter www.denhoff.de

 

Jürgen Hocker

Nach dem Studium der Chemie Tätigkeit in der Forschung. 1980 - 2000 Vorsitzender der internationalen "Gesellschaft für Selbstspielende Musikinstrumente e.V." 1982 erste Bekanntschaft mit dem mexikanisch-amerikanischen Komponisten Conlon Nancarrow. 1983-1985 Lehrauftrag am Robert - Schumann - Institut in Düsseldorf. Zahlreiche Publikationen auf dem Gebiet der Mechanischen Musikinstrumente und der Mechanischen Musik, u.a. in der Neuauflage von „Musik in Geschichte und Gegenwart“. 1986 Erwerb und Restaurierung eines Ampico-Bösendorfer-Selbstspielflügels, der seitdem für Konzertveranstaltungen zur Verfügung steht. Umfangreiche "Konzert"- und Vortragstätigkeit. Konzertreisen mit Conlon Nancarrow, u.a. nach Amsterdam, Köln, Hamburg, Hannover, Berlin, Wien und Paris. Erstmalige Aufführungen von Studies for two Player Pianos von Nancarrow mit zwei exakt synchronisierten Selbstspielflügeln anlässlich der Donaueschinger Musiktage 1994 und 1997 sowie Aufführung des Gesamtwerks Nancarrows für Player Piano anlässlich der MusikTriennale Köln 1997. Tournee mit dem Ensemble Modern mit Antheils ‚Ballet Mécanique’ (Wien, Frankfurt, Köln, Berlin, London). Erstmalige Aufführung des ‚Ballet Mécanique’ in der ‚Urfassung’ mit 16 selbstspielenden Klavieren als Abschlusskonzert des Klavierfestival Ruhr 2002. Seit 1990 Zusammenarbeit und Konzertveranstaltungen mit zeitgenössischen Komponisten, u.a. mit György Ligeti, Krzysztof Meyer, Michael Denhoff, Benedict Mason, Steffen Schleiermacher, Gerhard Stäbler, Marc-André Hamelin und Kiyoshi Furukawa. Neueinspielung von Nancarrows Gesamtwerk für Player Piano bei Dabringhaus & Grimm. Autor der Biographie „Begegnungen mit Conlon Nancarrow“ (Schott 2002). Konzeption und Betreuung der Homepage www.nancarrow.de . Weitere Informationen zu Player Pianos unter www.playerpianokonzerte.de

 

Texte – falls nicht anders angegeben – von Jürgen Hocker

 

 

 

 


 

 

Notes on this CD

 

Really, the player piano is a relic from the basement of music history and would have been forgotten long ago by musiclovers had not the works of Conlon Nancarrow resurrected it - like Phoenix rising from the ashes - to an unexpected after-life. Since then the player piano has once again dominated the scene, though mostly in people’s imagination, given that there are currently very few instruments that are actually in good enough shape for public performance or serious CD recording. One of these instruments is the Ampico-Bösendorfer grand that Jürgen Hocker acquired in abysmal condition over twenty years ago and restored to Nancarrow’s specifications. Since then, Nancarrow’scompositions have been presented all over Europe in over a hundred concerts. Hocker has also motivated younger composers and offered them the chance to write for the player piano, placing his know how and his instruments at their disposal and in many cases attracting commissions, notably those performed at the Donaueschingen music festivals of 1994 and 1997, the 2000 MusikTriennale in Cologne and at the Ruhr Piano Festival in 1999, 2006 and 2007. This series of CDs represent the first survey of the new player piano compositions to be offered to the record-buying public.

 

Werner Dabringhaus

 

 

Piano music without limits –

unplayable original compositions for player piano after Nancarrow

 

»I believe that the future of the player piano lies partly in performing music which is beyond the practical capabilities of the ten fingers, and new literature adapted to the instrument and all it offers is to be hoped for and perhaps to be expected ...«.

 

Ferruccio Busoni (1908)

 

The history of original compositions for the player piano goes back only 90 years. Over and above the reproduction of »handplayed« piano music, the player piano also offers a composer a great variety of opportunities. In realizing his compositional ideas, he no longer has to remain within the limits of what is manually playable. Between 1915 and 1927, Stravinsky, Hindemith, Toch, Haass, Antheil, Casella and Malipiero all discovered that new potential and briefly turned their attention to creating the first original compositions (Vol. 4 in this player piano series). Conlon Nancarrow was the first to recognize the entire cosmos of the almost forgotten instrument’s musical potential and he created a magnificent work for it in his 50 Studies for Player Piano. Many contemporary composers were so fascinated by the Studies that they also began composing for the player piano.

 

Technical and musical aspects for Composers

 

The considerable technical potential of the pneumatic player piano can never be realized by the hands of pianists, no matter how good they are: Using the keyboard A pianist can hardly strike more than ten notes at the same time with one hand,and those notes must fall within a tenth, the average span of a hand. With the player piano, any number of notes can be struck at the same time in any part of the keyboard. Leaps can be executed perfectly without regard to a pianist’s limitations and dense chords extending over seven octaves can be struck at the same time. Complicated chordal glissandos and many-voiced trills and chromatic glissandos present no problems at all. The only limitation is the capacity of the suction pump, which is exceeded when all 88 notes are struck at the same time, for example.

 

Speed

 

A pianist in good form can strike about 15 successive notes per second. A player piano on the other hand is capable of activating 50, 100 or even 200 keys per second, meaning that »unplayable« velocities can be realized and create completely new tonal impressions, since at those velocities the ear is no longer able to discern the individual notes. 100 keystrokes per second in pianissimo are perceived as a »cloud of sound«, while 100 keystrokes per second in fortissimo produce a »hurricane of sound«. Constantly changing velocities and the assignment of different velocities to several voices are also absolutely unproblematic. Metres and rhythms A pianist can play two different metres at the same time, provided they represent simple ratios like 2:3 or 3:5. More complex ratios and the rendering of three or more different metres at the  same time tend to be impossible. The same applies to complex rhythms. The player piano on the other hand copes with the most complicated metres and rhythms with absolute precision. Comparable results can now also be produced with a computer, but that mostly means dispensing with original piano tone.

 

Dynamics

 

In respect of dynamics too, the composer has a virtually free hand; the Ampico system can vary dynamics continuously from pp to ff. Yet dynamics remain a weak point and fixing exact volume levels is problematic. The force with which notes are struck is controlled by means of separate perforations in the piano roll, but depends on the degree of suction available.That, however, depends in turn on the number of notes struck per time unit, decreasing - and therefore producing less volume - as the number of notes struck increases. Another limitation derives from the windchest, which is divided into a bass and a treble section, each of which can be controlled separately. When two or more notes on the same half of the keyboard are activated simultaneously, the individual bellows operating the corresponding hammers are exposed to an exactly identical suction force: all notes struck at once on that half of the keyboard sound identically loud. The other half of the keyboard can however be fed with different information. Good performers, with their almost infinite control of dynamics, definitely have the edge on the player piano here. That instrument has the compensatory advantage that dynamics, once set, can be reproduced.

 

 

Michael Denhoff

12 Inventions for Player Piano(s) op. 88 (1999-2004)

 

The most extensive original composition for player piano after Nancarrow is surely this work by Michael Denhoff, who lives in Bonn. He wrote as follows about his 12 Inventions for player piano: »I responded like many of my fellow composers: when I heard Conlon Nancarrow’s Studies for Player Piano for the first time, I was overcome by the quite incredible sounds and structures of the music. I thought even then about utilizing the fascinating potential of the player piano compositionally myself, but I was always held back by the feeling that it seemed to be all but impossible to elicit anything new for this instrument after Nancarrow, since the universe of his studies had exploited nearly every aspect. Jürgen Hocker’s explicit request that I write a new piece for his player piano for performance at the Cologne Triennale caused me to think again. I saw the possibility of concentrating mainly on the harmonic aspects of the music, which had tended to play a secondary role in Nancarrow’s music, since he had been essentially interested in exploring rhythmic and contrapuntal complexities.« The collaboration with the composer was perfectly simple - not least because of physical proximity. The first three inventions, which were premiered within the framework of the MusikTriennale Cologne 2000, came into being in manuscripts of almost calligraphic beauty. It was my task to feed the music into the computer in the form of MIDI data. From Invention no. 4 I received MIDI files from Michael Denhoff. During countless visits, the tonal result was compared with the original instruments and the dynamics coding added. Denhoff gave special attention to the acoustic balance between the two Ampico grands in the case of those Inventions intended for rendering on two player pianos. There follow Denhoff’s own comments on the 12 Inventions for player piano. »I initially wrote three pieces, which I called »Inventions« in deliberate reference to Johann Sebastian Bach, because they use and expand contrapuntal techniques similar to those found in Bach. But my central interest here, as elsewhere in my music, was harmonic thinking. Each invention accordingly has its own unmistakable harmonic face. Commissioned by the Ruhr Piano Festival, I have written another nine »Inventions« in recent years, so that the complete set now comprises 12 pieces in all; they extend from a single voice to twelve voices (»voices« here signify compositional layers). The 12 Inventions divide into three blocks: nos. I-III (in 2, 4 and 6 voices), nos. IV-VIII (1, 3, 5, 7 and 9 voices) and nos. IX-XII (8, 10, [11 sounds], 12 voices).

 

Each invention accordingly has its own unmistakable harmonic face:

 

No. I uses bitonal pentatonics, a divided 10-note harmony in which the two 5-note fields in their four possible basic forms initially use only the black keys (below) and the white keys (above).

 

No. II is based on a self-sequencing, rising four-note sequence, from the intervals of which (major third, major second, minor third, minor second) the rhythmic aspects are derived.

 

No. III begins as a mirror canon and is »pan-tonal«: all twelve major and minor triads appear in the twelve different 6-note modes of the individual voices.

 

No. IV moves in mixtures of varying density which come into being out of the extreme canonic concatenation of the sequences with themselves.

 

No. V has three canonic layers, whose tempos stand in the relationship of 12 : 15 : 20 to each other.

 

No. VI is derived from a five-part chord, whose internal intervals decrease in size. The harmonic distance of the five voices from each other is also defined therewith.

 

No. VII is a seven-part invention that attempts to redefine the old model of the sequence of falling fifths: a seven- (or 14-) note succession of intervals sequences twelve times interlocking with itself at the interval of a fifth, so as to return to the starting-point.

 

No. VIII is conceived in such a way that the nine voices of very different character only use a certain set of notes, which overlaps with no other voice. The entire keyboard is used in the process.

 

No. IX is a combination of passacaglia, canon and toccata. In spite of almost mathematical logic, music results which possesses jazzy parlando.

 

No. X is in ten voices. The voices - mirrored in pairs over the middle – relate metrically in the ratio 5 : 7 : 9 : 11 : 13 to each other.

 

No. XI is developed out of 11 fivepart basic sounds which are built upon an eleven-note basic series comprising shifted fifths. Formally this invention is a combination of sonata movement and variation.

 

No. XII, the concluding invention, is both harmonically and metrically the simplest of the twelve. Two six-part diatonic and chorale-like layers form a canon at the fifth«.

 

 

Cadenabbiaer Glockenbuch op. 78a (1996/2005)

Version for two Ampico player pianos

 

Denhoff writes about this work as follows: »The peal of bells has fascinated me since early childhood. I never tired of listening to the ever new rhythmic patterns of the sounds that resulted from the chaotic overlapping of individual bells ringing at different speeds. When I spent a while in 1996 working in seclusion in Cadenabbia on Lake Como, it was the peal of bells at midday that regularly interrupted my work. I was fascinated by the metrical and spatial interference between the pealing of the bells of the Griante village church and those of the church of San Giovanni on the opposite shore - one with the first five notes of the B major scale, the other in the tritone interval in an F major scale. The idea took root to write music for once that dealt with this phenomenon. The result was the Cadenabbiaer Glockenbuch (Cadenabbia book of bells) in the form of nine and four studies for one and two pianos respectively. Since this composition struck me as being particularly attractive for rendering on the player piano, I have together with Jürgen Hocker created a special version of the Cadenabbiaer Glockenbuch for his two Ampico player pianos.« The work was premiered at the Nordstern colliery in Gelsenkirchen during the Ruhr Piano Festival 2006.

 

Michael Denhoff (b. 1955)

Michael Denhoff was born in Ahaus in Westphalia. He undertook his first attempts at composition at the age of ten under the guidance and inspiration of Günter Bialas. From 1973 he studied the cello with Siegfried Palm and Erling Blöndal Bengtsson, composition with Jürg Baur and Hans Werner Henze and, together with the Denhoff Piano Trio, chamber music with the Amadeus Quartet. From 1976 to 1980 he held a scholarship from the Studienstiftung des deutschen Volkes. In 1984 and 1985 he lectured in composition at Mainz University. Today he lives in Bonn as a freelance composer and cellist. He led the Academic Orchestra of Bonn from 1985 to 1992 and has been a member of the Ludwig Quartet since 1992. He has additionally held various teaching posts as chamber musician and composer. From 1997 to 1999 he was a visiting professor at the National Conservatory of Hanoi (Vietnam).

Michael Denhoff‘s works have won numerous prizes and awards. A Villa Massimo Scholarship enabled him to study in Rome for the year 1986-87. In 1996 he held a Villa La Collina scholarship in Cadenabbia. The Cadenabbiaer Glockenbuch is a result of that period of study. Numerous CDs document Denhoff’s prolific oeuvre.

Comprehensive information at www.denhoff.de

 

Jürgen Hocker

From 1980 to 2001 Jürgen Hocker was the president of the international Gesellschaft für Selbstspielende Musikinstrumente e. V. (Society of Automatic Musical Instruments). After he had heard the then performable Studies for Player Piano by Nancarrow on a tape recording in 1982, he acquired an Amico-Bösendorfer player grand piano. The instrument was then restored and modified according to Nancarrow’s wishes and since then has been available for concert performances. For Hocker there followed extensive organizational work and lecturing as well as numerous concert tours with Nancarrow to cities such as Berlin, Hamburg, Cologne, Amsterdam, Vienna, and Paris. Since Nancarrow’s perforated rolls were single copies, Hocker copied them with a reconstructed punching machine. In 1993 he acquired a second Ampico player piano in order to make it possible to perform Nancarrow‘s Studies for Two Player Pianos. The first performance with two player grand pianos synchronized by a computer system was held on the occasion of the Donaueschingen Music Days in 1994. Nancarrow’s complete oeuvre for player piano was performed at the MusikTriennale Köln (Music Triennial in Cologne) in 1997. Hocker visited Nancarrow on repeated occasions in Mexico and carried out extensive archiving in his studio, with this work reflected in the biography Begegnungen mit Nancarrow, Mainz, Schott Music, 2002. He has also authored many publications in the field of mechanical music in works such as the new edition of Musik in Geschichte und Gegenwart and designed and manages of the website www.nancarrow.de.

 

Translation: J & M Berridge

 

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