Günter Bialas

Günter Bialas

Günter Bialas                                                        zurück

zum 80. Geburtstag

 

Über den Komponisten Bialas zu sprechen, bedeutet für mich gleichzeitig auch, über den Menschen Günter Bialas zu reden, und in Verbindung beider Aspekte ergibt sich fast von allein seine Bedeutung als Kompositionslehrer. Denn er ist der Typus eines heute nur noch sehr selten zu findenden Meisters, bei dem künstlerische Unbeugsamkeit, geistige Offenheit und Beweglichkeit und menschliche Herzlichkeit eine selbstverständliche und uneitle Einheit bilden. Und so ist es nicht verwunderlich, daß alle Kollegen, Schüler und Musiker, die ihm einmal begegnet sind und Weggenossen sein durften, in einer beeindruckend einhelligen Begeisterung von diesem Mann sprechen, daß trotz der ganz unterschiedlichen Charaktere dieser Betreffenden alle die gleiche Freundschaft und Verehrung für den Komponisten, Menschen und Lehrer Bialas teilen.

Die vielleicht treffendste Charakterisierung des Komponisten Bialas hat sein direkter Nachfolger als Kompositionslehrer in München, Wilhelm Killmayer, gefunden, der vom Typus des „nichtsynchronisierten Zeitgenossen“ spricht, „der die Bewegung der ihn umgebenden Musik mit positivem Interesse aufnimmt, aber überzeugt ist, daß Komponieren die Sache eines Einzelnen ist, der nicht unbedingt synchronisierbar ist mit der Vorstellung von Zeitgeist, den andere zur Bedingung machen“. In einer Zeit, in der immer weniger das Kunstwerk den Zeitgeist und die ethisch moralische Gesinnung, als vielmehr der Zeitgeist das Kunstwerk zu prägen scheint, bekommt diese Einstellung und Überzeugung eine besondere Bedeutung, zumal die jüngste musikalische Vergangenheit gezeigt hat, wie schnell Schulen, starre Dogmen, determinierte Systeme (also allgemeinverbindliche ’Kochrezepte’ für das Kunstmachen) in Sackgassen enden und in ihrer geistigen Hohlheit entlarvend nichtssagend bleiben. Qualität entsteht eben nicht durch Schulen, sondern nur durch die Kraft des Einzelnen, seine innere Freiheit und künstlerische Unabhängigkeit. Günter Bialas – so sagt Killmayer weiter – „hat die seltene Fähigkeit, das individuelle Zentrum, aus dem heraus eine Person lebt und handelt, zu erkennen“. Diese Fähigkeit hat ihn zum vielleicht wichtigsten und maßgeblichsten Kompositionslehrer nach dem 2. Weltkrieg werden lassen; und es ist sicherlich nicht übertrieben, zu behaupten, daß Bialas mit seiner freundlich ausgleichenden Gradlinigkeit und bescheidenen Unbeirrbarkeit entscheidenden Einfluß hatte auf die jüngere Komponistengeneration in Deutschland, die ihn nicht nur als geistigen Vater, sondern auch als junggebliebenen Mitstreiter versteht.

Ich selbst hatte das Glück, schon in sehr jungen Jahren Günter Bialas zu begegnen. Als etwa 14-Jähriger konnte ich ihm meine ersten kompositorischen Gehversuche zeigen, die noch sehr ungelenk an Vorbildern zwischen Hindemith und Penderecki orientiert waren. Noch heute bin ich dankbar, daß er damals nicht nur mit unverbindlich großväterlichem Wohlwollen meine Partituren durchblätterte, sondern sich die Zeit nahm, mir mit seiner nicht verletzenden Kritik behutsam Ratschläge zu geben. Ich fühlte mich erstmals als Komponist ernstgenommen! Er überredete nicht, sondern überzeugte, und seine Ratschläge konnten für mich zu Orientierungslinien werden, zwischen denen genügend Freiraum für Eigenständigkeit blieb. Zwar bin ich im eigentlichen Sinne nie sein eingeschriebener Student geworden, aber dennoch existierte seit der ersten Begegnung so etwas wie ein Lehrer-Schüler-Verhältnis, denn immer wieder habe ich den Gedankenaustausch mit ihm gesucht, der zu meiner künstlerischen Selbstfindung beigetragen hat. Heute ist daraus inzwischen eine sehr herzliche Freundschaft geworden. In seiner menschlichen Grundhaltung, die sich auch in seiner Musik widerspiegelt, ist mir Bialas bis heute Vorbild geblieben.

Bemerkenswert bei Günter Bialas ist, daß er nie Mitläufer irgendwelcher Strömungen gewesen ist, sondern stets mit einer gesunden Skepsis einer allzu blinden Fortschrittsgläubigkeit gegenüberstand. Seine Musik ist im umfassenden Sinne human und menschennah, ohne erfolgsheischende Anbiederung. Seine Position ist nicht starr, sondern sie befähigt ihn, sensibel zu reagieren, ohne den eigensprachlichen Personalstil verleugnen zu müssen. Wie bei keinem anderen Komponisten seiner Generation wird seine Stimme im heutigen Musikleben immer noch mit unverminderter Frische gehört. In seiner geistigen Beweglichkeit und Neugierde ist er heute der jüngste der älteren Komponisten oder der älteste der jungen Komponisten. Die Rezeption seiner Musik hat gerade in den letzten 10 bis 15 Jahren außergewöhnlich zugenommen, ein Phänomen, das vielleicht auch damit zu erklären ist, daß sich das Anliegen der jüngeren Komponistengeneration mit seinem Standort deckt: der Abkehr vom strukturellen Materialfetischismus und der Hinwendung zu einer neuen Art von Expressivität mit der Vielfalt ihrer unterschiedlichen ästhetischen Ansatzpunkte.

Bialas hat schon vor uns Jungen das schnelle Altern des ewig Neuen erkannt und nie die Elfenbeinturm-Mentalität der schon verstaubten Avantgarde gehabt. Dies ist kein regressives oder gar reaktionäres Denken, sondern vielmehr eine Wachheit über den Zeitgeist hinaus, die die Fähigkeit besitzt, etwas in Bewegung zu setzen, weil sie die geistigen und emotionalen Seiten des Menschen zu erreichen vermag.

 

 

© 1987 Michael Denhoff

 

 

 

Lesen Sie auch:

 

„Kein Ton zuviel“

oder: Das Vertraute im Neuen und das Neue im Vertrauten

Vortrag beim Bialas-Symposion, Breslau 2008

 

 

zurück