KOMPONIEREN...

erste Folge (1988-90)

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Komponieren: suchen - finden - verlieren; setzen - entgegensetzen - zersetzen; entwickeln - verwickeln; aufbrechen - abbrechen

 

Komponieren: tastende Annäherung an eine Idee.

 

Komponieren: manchmal wie fischen in toten Gewässern.

 

Komponieren: eine Art, die Töne zu ordnen, die, durch ein Netzwerk sich verbietender Möglichkeiten gefiltert, übrig geblieben sind.

 

Komponieren: die „allmähliche Verfertigung der (musikalischen) Gedanken” (Kleist) bei der Fixierung auf dem Notenpapier.

 

Komponieren: das Unendliche zum Endlichen verdichten, oder einen winzigen Ausschnitt der Unendlichkeit eingrenzen.

 

Komponieren: eine Art Protokoll der Transformationsprozesse von Denken und Empfinden; ein zutiefst individuelles Ereignis, subjektiver Akt.

 

Komponieren: mit der Klangfindung ein Vorstoß in die Bereiche, deren Ausdruck nur der Klang sein Kann.

 

Komponieren: janusköpfiger Grenzgang zwischen unvermeidlicher  Rückwendung und notwendigem Aufbruch ins Unbestimmte und Offene des Zukünftigen.

 

Komponieren: eine Art Pendelbewegung zwischen Kopf und Bauch.

 

Komponieren: eine Art, das Zeitgefühl in einen schwebenden Zustand zu versetzen.

 

Komponieren: Selbstportrait in Noten; die individuelle Handschrift läßt sich nicht verändern oder gar verstellen, jeder Klang trägt die eigenen Fingerabdrücke.

 

Komponieren: ein Autolog, dessen eigentliches Ziel die Kommunikation ist.

 

Komponieren: einen Teil der Welt, die man in sich trägt, nach außen tragen, preisgeben; ... man wird angreifbarer.

 

Komponieren: Unerhörtes hörbar machen.

 

Komponieren: auch: singen vom verlorenen Paradies.

 

 

 

 

KOMPONIEREN...

neue Folge (1997/99)

 

Komponieren: Klang-Spuren-Sicherung

 

Komponieren: ein zutiefst erotischer Zustand

 

Komponieren: ein Seilakt ohne Netz und doppelten Boden.

 

Komponieren: das Unbekannte in sich selbst entdecken und den noch weißen Flecken der inneren Landkarte einen Namen geben.

 

Komponieren: Klang-werdendes Fühlen und Gestalt-werdendes Denken.

 

Komponieren: das Gehörthaben ins Klingende wenden. Vom Hören zum Gehörtwerden.

 

Komponieren: ein Rettungsversuch. Ein Versuch, sich selbst zu begreifen.

 

Komponieren: sich verlassen und sich finden. (sich verlieren & sich suchen)

 

Komponieren: ein Akt der Verzweiflung (manchmal)

 

Komponieren: verwirklichtes Schweigen & Verschweigen

 

Komponieren: immer den Abgrund spüren aber dabei zum Himmel aufschauen.

 

Komponieren: sich überraschen lassen von dem, was einem zufliegt (zunächst).

 

Komponieren: Nachklingen. Das Nachklingen festhalten.

 

Komponieren: den Herztönen einen Raum geben.

 

Komponieren: Töne auf-heben

 

Komponieren: den Tönen eine Bedeutung geben.

 

Komponieren: ein Selbstgespräch in Tönen und Klängen.

 

Komponieren: eine Musik schreiben, heute, so als habe man nie etwas von Avantgarde, Darmstadt & Donaueschingen gehört. (Ist das möglich?)

 

Komponieren: eine Art Resonanz-Körper sein.

 

Komponieren: Klänge aus einem unartikulierten Zustand in einen artikulierten versetzen.

 

Komponieren: manchmal eine besondere Art von Trunkenheit, eine Trunkenheit des Geistes.

 

Komponieren: eine Art, der Stille , den Schreien, den Tränen, dem Glück, den Küssen, den Seufzern, den Hoffnungen und Bedrängnissen, den Träumen außerhalb der gesprochenen Sprache eine artikulierte Gestalt zu geben, deren emotionale Kraft noch tiefere Wirkungen erzeugt, als die gesprochene Sprache es je könnte, da dieser im Vergleich zur Musik nur ein beschränktes Vokabular zur Verfügung steht.

 

Komponieren: in Töne fassen, was der Geist nur ahnen konnte.

 

Komponieren: das Beherrschen der Unähnlichkeiten. Durch Verkürzungen und Verknappung, durch Sprengung formaler Grenzen, durch unerwartete Kombinationen dem Unvorhersehbaren einen Raum geben und damit akustische Gestalt.

 

Komponieren: zeitunabhängige, menschenunabhängige Rede.

 

Komponieren: mit dem Wissen von Regeln sich von diesen unabhängig machen.

 

Komponieren: das Abwesende vergegenwärtigen.

 

Komponieren: Unsagbares in Klängen sagen; Töne sprechen lassen.

 

Komponieren: außer mir sein.

 

Komponieren: andeuten, nicht beschwören.

 

Komponieren: eine Verstärkung der Welt, die man in sich trägt.

 

Komponieren: Selbsterfahrung in Tönen.

 

Komponieren: warten bis sich die richtigen Töne einstellen.

 

Komponieren: Resultat vieler verschiedener musikalischer Vergangenheiten... auch der eigenen... und vor allem(!) der eigenen.

 

Komponieren: alles schöpferische Handeln hat nur einen einzigen tieferen Grund: man vergewissert sich, daß man lebt.

 

Komponieren: anschreiben gegen das Verstummen.

 

Komponieren: auch der Versuch einer Weltdeutung.

 

Komponieren: etwas ohne Worte zur Sprache bringen.

 

Komponieren: Klänge, die mein Leben schreibt.

 

Komponieren: das noch unbeschriebene Notenblatt; und man ahnt seine eigene Neugeburt...

 

© 1999  Michael Denhoff

 

 

           

siehe auch: KOMPONIEREN... – dritte Folge (2000/2001)

 

 

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