Klingende Bilder

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Ha Webe "Michael Denhoff gewidmet"Ha Webe (Hans-Werner Berretz): „Michael Denhoff gewidmet“

 

 

Ein Bild dehnt sich mit seiner äußeren Materialität in die Fläche.

Musik dehnt sich mit ihrer akustischen Gestalt in die Zeit.

Doch so wie Klänge die Zeit, in die sie sich ausdehnen, gleichzeitig aufzuheben vermögen, kraft dessen, wie sie und womit sie diese Zeit benennen, so vermag auch das Bild mit seinen Farben und Formen die Fläche aufzulösen. Durch das Bild scheint etwas hindurch, es öffnet sich in den Raum. Es ist eine Tiefe von Innen heraus, die für den Betrachter ihren Ausgang von der Bildfläche her nimmt. Ebenso ist bei Musik die akustische Oberfläche für den Zuhörer nur das Tor, durch das sich der Klangraum weitet in die endlosen Tiefen seiner Empfindungen und Erinnerungen, die durch die Klänge erweckt wurden.

Wenn wir uns als Betrachter oder als Zuhörer öffnen, öffnen sich auch die Musik und das Bild.  

Und während wir uns in Bilder vertiefen oder Musik hörend selber zu klingen beginnen, erleben wir eine emotionale Intensität, die uns die eigene unentrinnbare Vergänglichkeit für einen Moment vergessen läßt, weil  d i e  Sinne aktiviert sind, die die verborgensten und gleichzeitig wesenseigensten Schichten des Inneren berühren.

Dies ist das Faszinierende an Kunst ganz allgemein: in der Begegnung mit ihr begegnen wir uns selber auf eine ganz unbekannte und neue Art. Das, was Töne und Farben bewirken, das, was von ihnen ausgeht, deckt sich also hinter dem Sichtbaren und Hörbaren.

 

Was aber, wenn - wie im Fall Hans Werner Berretz - das Bild der Musik begegnet, die Klänge die Farben und Formen evoziert haben?

 

Mir fällt dazu spontan ein Gleichnis ein, das auch Paul Klee in einer Rede anläßlich der Eröffnung einer Ausstellung in Jena 1924 nutzte, das Gleichnis vom Baum, welches ich hier leicht abwandeln möchte: Hans Werner Berretz hat sich intensiv mit der vielgestaltigen Welt der Musik befaßt. Er ist gut orientiert, daß er die Flucht der Erscheinungen und der Erfahrungen für sich zu ordnen vermag. Diese vielverästelte und verzweigte Ordnung ist das nicht sichtbare Wurzelwerk des Baumes. Von daher strömen dem Maler die Säfte zu, um durch ihn und durch sein inneres Auge hindurchzugehen: er ist der Stamm des Baumes. Bedrängt und bewegt von der Macht jenes Strömens, leitet er Gehörtes und damit Erschautes weiter in sein Werk. Wie die Baumkrone sich zeitlich und räumlich nach allen Seiten hin sichtbar entfaltet, so geht es auch mit seinen Bildern.

Wurzelwerk und Baumkrone korrespondieren über den Stamm miteinander, stehen aber in keinem exakten Spiegelverhältnis zueinander, denn die verschiedenen Funktionen müssen lebhafte Abweichungen zeitigen.

So sind die Bilder von Hans Werner Berretz nicht das sichtbar gewordene Wurzelwerk; ihre Schönheit steht für sich selbst, und doch lassen die oft rätselhaften Farben und Formen etwas erahnen von dem, was ihre sichtbar gewordene Gestalt möglich machte.

Abseits platter Illustration des Gehörten und fernab banaler Analogie leuchten die Bilder von Innen heraus. Der Bildraum vibriert durch die feinen Schwingungen, die die auslösende Musik in Bewegung gesetzt hat. Diese Bilder bilden die Musik nicht ab, sie sind auf sehr sinnliche Art und Weise selbst Musik. Wie in einem zusammenfassenden Akkord klingt in ihnen alles nach, was den Tönen und Klängen an Bedeutung eingeschrieben ist. Nicht die akustische Oberfläche der Musik, sondern das, was hinter ihr liegt und das eigentliche Geheimnis von Musik ausmacht, erscheint in neue Zusammenhänge gesetzt und transformiert im Bild. Für den Betrachter eröffnen sich neue Dimensionen sinnlicher Wahrnehmung: das Bild verschweigt die Musik und doch klingt im Bild aus tiefen Fernen wie von einem Seismographen eingefangen, was dem hörenden Maler von den Klängen und Tönen der Musik an Energie und Ausdruck zugeflossen ist. Es ist  nicht allein das Phänomen der Synästhesie, sondern vielmehr eine besondere Form des subtilen Gespürs für übergreifende Zusammenhänge von Ton und Farbe und damit eine besondere Form von Verständnis und Wirkung, die in den Bildern von Hans Werner Berretz erfahrbar wird. Denken und Empfinden verschmelzen. Und in der Symbiose entsteht ein bildnerisches Universum von enigmatischer Weite, die das Trennende von Bild und Musik überwindet und die Grenzen aufhebt.

 

© 1998 Michael Denhoff

 

 

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