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Aus gegebenem Anlaß:

Haiku-Plagiat(e) !?

 

Von Michael Denhoff

 

 

Das, was seit dem 16. Februar dieses Jahres mit den Plagiatsvorwürfen zur Doktorarbeit des Herrn Karl-Theodor zu Guttenberg in Presse, Medien und zahllosen Blogs aufgewirbelt wurde, sucht seinesgleichen in der publizistischen Vergangenheit.

Der Doktortitel wurde dem „Baron zu Googleberg“ (um nur eine der inzwischen zahllosen Wortschöpfungen zu nutzen) am 23. Februar von der Universität Bayreuth aberkannt. Doch eine Kanzlerin, die offensichtlich bereit war, geistigen Diebstahl sowie Lügen und Täuschen zu bagatellisieren, hielt weiter an ihm fest. Der immer stärker werdende Druck aus Kreisen der zu Recht empörten Wissenschaft aber auch die immer stärker aufkommenden kritischen Stimmen selbst aus dem eigenen politischen Lager ließen dem „Selbstverteidigungsminister“ schlußendlich keine andere Wahl: am Vormittag des 1. März erklärte er seinen Rücktritt von allen Ämtern.

 

In diesen bewegten Tagen erreichte mich als Mitherausgeber des Online-Journals für Haiku und Kurzgedicht „HAIKUSCOPE“ (www.haikuscope.de) ein bemerkenswertes Haiku von Dietmar Tauchner. Es wurde von uns Herausgebern als „Kurzgedicht“ der aktuellen 10. Woche ausgewählt:

 

 

            in die Arme eines Baums

      aus dem U-Bahnschacht

Rolltreppe

 

 

Die ungewöhnliche, durchaus eigenwillige und originelle graphische Gestalt des Textes, die den Inhalt nicht nur optisch abzubilden scheint, nämlich die Rolltreppe aufwärts, sondern auch ein Lesen von der unteren Zeile aufwärts nahelegt wenn nicht gar erzwingt, beeindruckte mich spontan.

 

Ebenso spontan fiel mir eine Art Gegen-Text ein:

 

 

Rolltreppe

      hinab den U-Bahnschacht

            in die Fänge eines Dealers

 

 

Es ist eine alltägliche Situation, wie man sie vermutlich (nicht nur hier in Bonn) an manchen Hauptbahnhöfen erleben kann.

 

Ich werde diesen Gegen-Text allerdings an keiner anderen Stelle als an dieser „preisgeben“, denn er ist genau nach dem gleichen Strickmuster entstanden, wie Plagiate üblicherweise als solche getarnt werden sollen, indem nämlich nur wenige Worte geändert werden.

Zwar ließe sich zu meiner Verteidigung einwenden, es entstünde hier eine ganz andere „poetische“ Aussage – was im Allgemeinen bei Plagiaten natürlich nicht das Ziel ist – , insofern könnte man meinem Text eine gewisse Eigenständigkeit nicht absprechen. – (Genaugenommen ist er natürlich eher eine literarische Parodie.)

 

Zugegebenermaßen fallen mir oft beim Lesen von diversen Haiku ähnlich geartete „Gegentexte“ ein, die ich allerdings nur für mich „zum privaten Spaß“ sammle aber nicht veröffentliche. Ebenso oft denke ich beim Lesen von manchen neueren Haiku aber auch: das erinnert dich doch sehr deutlich an ein dir schon bekanntes Haiku. Dabei ist fast in allen Fällen (aus Gründen der Diskretion soll hier kein einziges Beispiel erwähnt werden) das offensichtlich impulsgebende Haiku eindeutig gelungener als das abkupfernde; das gilt gleichermaßen für meine oben stehende „Parodie“ auf das Original von Dietmar Tauchner.

 

Die Themen menschlicher Erfahrungen und Wahrnehmungen sind begrenzt, insofern müssen und dürfen sich poetische Inhalte wiederholen, aber nicht einfach umgeschrieben oder umformuliert werden.

 

Trotz alledem: immer wieder erstaunt, welcher Reichtum an ganz individueller Beobachtung und einmaligem Erleben uns als Leser – und im glücklichsten Fall auch als Autor – manchmal in wenigen Worten ein neues, noch unbekanntes und bisher unbenanntes Universum eröffnen.

 

Diesen Zustand gilt es, immer wieder zu erreichen.

 

 

 

 

© MD, Bonn, am 6. März 2011

 

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